Freitag, 20. Januar 2012

Die Reise geht zu Ende, eine neue beginnt...

Zu reisen bedeutet auch immer Fragen zu beantworten, manchmal sind es die eigenen, häufiger jedoch die Fragen Fremder die den Reisenden neugierig in ihre Welt einladen. So wird die Sprache zum Werkzeug des kulturellen Austausches und man bekommt die Möglichkeit ein wenig hinter den Kulissen zu erahnen was in der Welt des Gegenüber so vor sich geht. Von federleichter Konversation über das Tagesgeschäft bis hin zu hoch philosophischen Diskussionen werden von Zeit zu Zeit alle Aspekte des Lebens behandelt und mit dem Fremden beraten. Manche Fragen tauchen häufiger auf als andere und scheinen ganz besonders interessant zu sein.
So zum Beispiel die Frage nach dem Heiratsstatus. Gleich hinter den Toren Europas scheint die Menschen nichts mehr zu interessieren als das Leben zu Zweit. Indien bildet da keine Ausnahme sondern steht im Wettlauf um das Zelebrieren von Traditionen, insbesondere des Heiratsrituals definitiv an Platz eins. Das Leben eines Inders (...eines Türken, eines Iraners, eines Pakistaners ebenso...) scheint voll und ganz auf den einen Tag im Leben ausgerichtet zu sein an dem Unsummen kleiner Rupees (Lira, Rial u.ä.) in die gewaltige Inszenierung einer doch so oft "arrangierten" Hochzeit gepumt werden. In pompösen Ritualen wird der Bund der Ehe geschlossen und die beiden "Kinder" werden nun als mündige Bürger der Gesellschaft akzeptiert. Auch wenn ich in meinem "fortgeschrittenen" Alter somit immer noch als Kind gelte, bin ich froh, diese Frage auch weiterhin mit einem NEIN, unverheiratet beantworten zu können.

Heiraten auf indisch, mit europäischen Statisten (Quelle: Marine Bardin)

Auf Platz Nummer zwei des internationalen Fragenkatalogs für Reisende ist die allzu beliebte W-Frage zu finden. Warum fährt der Typ mit dem Fahrrad? Die Begründung dafür ist vielfältig und lässt sich schwer in Worte fassen. Kurz gesagt geht es - zur Verwunderung vieler - (diesmal) nicht um die Liebe zum Fahrrad. Das Fahren eines Reiserades ist bis auf wenige Ausnahmen ziemlich monoton und eintönig manchmal gar langweilig. Es geht eher um ein spezielles Lebensgefühl, das sich vielleicht mit Begriffen wie Freiheit und Unabhängigkeit um-, jedoch nicht wirklich be-schreiben lässt… In alltäglichen Situationen wie z.B. der allabendlichen Zubereitung einer bescheidenen Mahlzeit mit dem stinkenden Benzinkocher, wächst aus dem Zustand der Erschöpfung ein angenehmes Gefühl von Ruhe und Dankbarkeit über die Einfachheit des Lebens… Dies zu erklären ist schon in der deutschen Sprache keine leichte Aufgabe, weshalb ich der Einfachheit halber manchmal erwähne bloss den Bus verpasst zu haben.

...müde, schmutzig, einfach und wunschlos glücklich...

Frage Nummer drei ist da schon einfacher zu beantworten. Warum eigentlich Slacklinen? - Fußball ist doch auch super! Die Slackline, welche fälschlicherweise oft mit dem Zirkushochseil verwechselt wird, ist ein 3,5-5cm breites Gurtband, das zwischen 2 Fixpunkten gespannt wird. Für mich stellt dieses schmale Band, auf dem man balanciert, den Inbegriff eines Low-tech Sportgerätes dar und eignet sich damit ausgezeichnet für den Einsatz an Orten, an denen Geld Mangelware ist. Zum Ausüben braucht man weder eine bestimmte Anzahl von Mitspielern, noch braucht man Schuhe oder spezielle Ausrüstung. Es geht ums Balancieren auf instabilen Untergrund bzw. um das Im-Gleichgewicht-Sein. Was wir als selbstverständliche Fähigkeit des menschlichen Körpers ansehen, wird erst zur Besonderheit, wenn uns jemand den festen Boden unter den Füßen entzieht. Die Grundlage, um sich auf der Slackline bewegen zu können, ist Konzentration. Diese ermöglicht es dem Ausübenden relativ einfach in einen Bewusstseinszustand zu gelangen, den die Sportwissenschaft Flowzustand oder das Einswerden mit der sportlichen Tätigkeit nennt.

...miteinander Reden, sich kennenlernen, Balance finden...

Und was halten die Kinder davon?...Die Kinder scheren sich natürlich nicht um den trendigen Namen der jungen Sportart und noch weniger darum, was die Sportwissenschaft denkt. Sie nennen das Spiel treffend “monkey-circus” und nehmen die neue Freizeitaktivität mit Freude und Begeisterung an. In Kleingruppen werden täglich jeweils zwei Einheiten auf dem Dach der beiden Schulen angeboten. Das Ziel ist es, den Kindern zu helfen ein Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln. Ruhe und Konzentration sind zwar für viele westliche Sucher ein Grund nach Indien zu kommen, jedoch kann ich mir keine unkonzentriertere und chaotischere Welt als die des indischen Subkontinentes vorstellen. In der Quantität der indischen Form des Multitaskings eine Form von Qualität nach westlichem Maßstab zu finden, scheint gar unmöglich. So muss der Junge aus Deutschland hin und wieder auch mal zur Disziplin aufrufen und lernt dabei jeden Tag ein Stückchen mehr, dass unsere überorganisierten westlichen Verhaltensweisen vielleicht auch nicht gerade der Weisheit letzter Schluss sind. Ohne den Mut zu verlieren, werde ich für meine Mühe mit unbeschreiblicher Lebensfreude und ungeahnter Kreativität im Lösen von Problemen belohnt.


...Konzentration, einander Helfen und die ersten eigenen Schritte...
...funktioniert auch bei den "grossen" Kindern...
yeeeeeha!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen