Samstag, 3. September 2011

Iran 2.0...

...endlich: das perfekt getarnte Zelt
unbekannter Reiter im Grenzgebirge...


... nach nur 9 Tagen auf iranischen Straßen erreiche ich Teheran etwas früher als erwartet - ziemlich genau bei Kilometer 5000. Bis dahin lässt sich sagen, dass der Iran bis auf die erwähnte Gastfreundschaft nicht unbedingt ein Paradies für Radtouristen ist. Die Straßen sind allgemein in einem ordentlichen Zustand, jedoch hauptsächlich von schwergewichtigen Fahrzeugen über 3,5 Tonnen befahren. Es scheint, als wäre es geradezu schick, einen LKW zu fahren... Dementsprechend hängt ständig ein leichter Abgasdunst in der Luft, dessen Konzentration nur durch den konstanten Gegenwind etwas atemgerechter wird. Nach gut zwei Wochen im Wind wird meine 100km Routine eines Vormittags durch einen heftigen Orkan unterbrochen und ich fahre - beflügelt von Regen und Rückenwind - unglaubliche 185 Kilometer. Die 200km-Marke fest im Blick muss ich mich dann doch den zahlreichen Blitzen, die links und rechts der Straße einschlagen, ergeben und verbringe eine adrenalinreiche Nacht im stillgelegten Abwasserkanal.
In Teheran angekommen, mache ich mich gleich auf die Suche nach meinem Schlafplatz, den ich wieder einmal über das Couchsurfing-Netzwerk gefunden habe. Einige Stunden später sitze ich dann auch schon auf der Couch einer feudal eingerichteten Diplomatenwohnung... Das Leben meint es gut mit mir... Lustigerweise stehen meine schweizer Freunde Jules und Sam einige Tage später vor der gleichen Tür. Nach 2000km und 1-monatiger Trennung gibt es viel zu erzählen und ich freue mich sehr, die beiden wiederzusehen. Für die nächsten Tage steht "Klinken-Putzen" bei den Botschaften auf dem Programm, um die Visa für die weiteren Länder zu bekommen. Das Visageschäft ist ein Meisterstück der Bürokratie und verlangt neben unzähligen Dollars, Kilometern für Stempel und Unterschriften vor allem Geduld. Relativ bald wird mir klar, dass meine Route durch Süd-Pakistan momentan nicht realisierbar ist. Die Pakistaner verlangen ein Empfehlungsschreiben der deutschen Botschaft, welches aber nicht ausgestellt wird. Da man als Reisender lernt, sich auf häufig wechselnde Realitäten einzustellen, schmiede ich einen neuen Plan. Ab jetzt versuche ich über die Nordroute durch Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan und China nach Indien zu gelangen. Neben ein paar Extra-Kilometern in der Horizont- als auch Vertikalen stehen nun also vier weitere Visa auf dem Programm. Um die Wartezeit für die Visa zu verkürzen, mache ich zahlreiche Ausflüge ins beeindruckende Isfahan und zum höchsten Vulkan Asiens, dem Damawand ... Beide Vorhaben sind jedoch nur von mäßigem Erfolg gekrönt. In Isfahan verbringe ich zwei Tage auf dem Polizeirevier, da scheinbar vergessen wurde, mir einen Einreisestempel zu geben. Nachdem ich in einem knallhart geführten Verhör recht schnell zu verstehen geben kann, dass dieser dünne und viel zu auffällige Junge aus "Germanistan" nicht gerade die neue Geheimwaffe westlicher Geheimdienste ist, werde ich auf ein weiteres Rendez-vous zum "office for foreign aliens" in Teheran geladen... Die Beamten dort sind wesentlich sympathischer, sprechen allerdings nur bedingt Englisch. Weitere drei Stunden später ist mein Pass dann tatsächlich um ein paar Farbklekse reicher und man versichert mir, dass ich nun völlig legal hier bin... Inschallah! Mittlerweile muss ich sagen, dass ich mich sehr darauf freue, weiter zu dürfen. Bei aller Schönheit und Gastfreundschaft, die mir hier von Seiten der Bevölkerung entgegengebracht wird, dominiert doch das Gefühl, von diesem "hässlichen" System eingeengt zu werden. Bei der Vorstellung, dass all diese Schikanen für die Menschen hier Alltag bedeuten, wechselt das Unwohlsein über meine Situation schnell in Mitleid für die Bevölkerung. Auch beim Konsum des Internet muss ich feststellen, dass Mahmut Machmalirgendwas und seine Schergen ganze Arbeit geleistet haben. Zum Schutz vor Angriffen gegen das System filtert die Regierung so ziemlich alle Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung. So kommt es auch, dass ich gut einen Monat lang keinen Zugriff auf den Blog hatte. Mit jedem Tag in Teheran wächst der Unmut gegen die scheinheiligen Visagen der religiösen Führer um Ayatollah Khomeini, deren Abbildungen im Massstab 200:1 allgegenwärtig die Aussicht vermiesen. Da proportional zu Bargeld und den Resttagen im Visum auch meine Lust sinkt, länger in "Khomeinistan" zu verweilen, sehe ich mich gezwungen, die letzten Wüstenkilometer im Iran mit alternativen Verkehrsmitteln zurückzulegen.

... Romantik im Abwasserkanal

-wortlos glücklich-
Könige der Straße       (Quelle: Sam Anrig)

8 Kommentare:

  1. Boahh, dieser Bericht geht tief unter die Haut. Zwei Tage iranischen Polizeiknasts dürften es in sich haben! Übernachtungen in Kanalschächten nicht minder. Philipp, Philipp, gut, dass dieser Teil der Strecke hinter Dir liegt. Best wishes & good luck for the next leg.

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  2. Na, der Weg durch den Iran scheint ja wirklich alles andere als angenehm zu sein!! Wünsche dir schnelles Fortkommen egal wie.:-)))) Viele Liebe Grüsse von Oma Betty, Nori und Klaus

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  3. hola phil!
    laß dich net unterkriegen! wir sama mental stehts dabei! immerhin kann man hier in der türkei fast alles im internet anschauen...
    liebe grüße aus istanbul
    fabian und anna

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  4. hey phil,
    verfolge mit spannung deinen reisebericht. wünsche dir weiterhin gute fahrt und viel glück.
    grüße aus noppenberg
    Felix

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  5. Hey Phili!
    Schön wieder von dir zu hören!Jetzt musst bald aufhören zu reisen, sonst erlebst alles was man so erleben kann und der rest des lebens wird total fad! ;-)
    Schade das der schlimme Eindruck des politischen Systems im Iran die positiven Eindrücke der Menschen so überlagert... Möcht mir gar nicht ausmalen wie da China im Vergleich wird.
    Das gute an der Routenänderung, diese Strecke ist auf jeden Fall "the path less traveled by" also zu empfehlen.
    Ich freu mich sehr wieder von dir zu hören, hoffentlich nur gutes!

    Beste Grüße aus dem wilden Wieselburg,
    Max

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  6. Noppenbergs Dorftrommeln raunen, dass Phil bereits in Kirgisistan angelangt und sich dort auf einer Extratour zur Landeserkundung befindet. Bislang war ich völlig anhnungslos, was Existenz und Kultur dieses Landes angeht. Nachschlagen bei Wiki hat meinen Horizont - dank Phil - in diesem Punkt ein wenig erweitert. Ich brenne deshalb auf seinen Bericht. Vielleicht trifft er ja auf Kirkisendeutsche, deren Vorfahren es dorthin verschlagen hat. 20.000 Deutschstämmige leben heute noch hier in Zentralasien, nach dem großen Exodus der 90er Jahre, der 80.000 Menschen zurück nach Deutschland oder in die früheren Siedlungsgebiete in Rußland geführt hat.

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  7. hey phil!

    ich bin derzeit in Panama unterwegs. Hab nach langem wieder deinen Blog gelesen, gleich alles weils so schon zu lesen is!
    Das mit der rosa Reisebrille ist absolut wahr. Auch hier wird mit Mull beangstigend umgegangen. Schade ist dabei, dass sich die Leute damit selbst alles zerstoren ohne es zu registrieren. Das Problem ist Europa sicher ahnlich ... wer weiss wie viele wunderschone Orte zunichte gemacht wurden weil eine Deponie errichtet wurde!?

    Weiterhin viel Spass!
    soby

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  8. Hi Max, hi Philipp,
    die Presse sucht nach einer schärferen Vorlage Deiner "Route"-Karte im Blog. Wenn Du das Fahrrad von Max geliehen hast, dann hat sicherlich Max Dein Notebook in Gebrauch - oder?? Wenn ja, dann soll Max mir 'mal die Vorlage mailen.
    Gute Fahrt und ggs. Dank an Max für die Mühe
    papa Gerd

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